Revolution und Ermordung in München

Mitte November 1918 folgte Gustav Landauer dem Ruf des Freundes und nunmehr ersten Ministerpräsidenten der bayerischen Republik Kurt Eisner und ging nach München. Eisner hatte ihn gebeten, während der Revolution „durch rednerische Betätigung an der Umbildung der Seelen“ mitzuarbeiten. Sofort reiste Landauer ab und fand sich kurz darauf inmitten der Rätebewegung.

Noch im selben Monat schlug er in der Broschüre „Die vereinigten Republiken Deutschlands und ihre Verfassung“ eine föderative Neustrukturierung Deutschlands unter Zerschlagung Preußens vor. Die Wahlen zu Nationalversammlung und Landtag im Januar 1919 empfand er in dieser Situation als inszenierte „Abdankung des Volkes“ zugunsten einer „ekelhafte[n] Herrschaft der Parteien“. Landauer kämpfte für die Rätedemokratie, was zunehmend aussichtslos erschien. Nach der Ermordung Eisners am 21. Februar 1919 (genau ein Jahr nachdem Hedwig Lachmann einer Grippe erlegen war) wurde jedoch energisch die Forderung nach Ausrufung der Räterepublik laut, was am 7. April auch geschah.

Eine Woche lang war Landauer nun „Volksbeauftragter für Volksaufklärung, früher Kultusminister“ und arbeitete wie besessen: an der Reform der Hochschulen, der Agitation der Landbevölkerung, der Vertiefung und Sicherung der Revolution, und immer zugleich gegen ein widerstrebendes Beamtentum. In einer Fülle von Vorschlägen, Reden, Erlassen und Entwürfen zeigte sich während dieser Monate nochmals in gedrängter Form, dass utopischer und realistischer Sinn bei Landauer offenbar koinzidierten. Doch die aus Not geborene Revolution binnen kürzester Zeit in ein Projekt demokratischer Erneuerung zu verwandeln, wollte trotz aller Anstrengungen nicht gelingen. Schon bald wirkte Landauer vielleicht weniger in der Hoffnung des Sieges als vielmehr, um möglichst „bleibende Spuren im Lande Bayern mit seiner Tätigkeit zu hinterlassen“, so dass man „in einsichtigen Kreisen“ einmal günstig auf die Arbeit der Räterepublik blicken und sagen würde, „es wäre nicht schlecht gewesen, wenn man sie hätte weiterarbeiten lassen.“

Nachdem am 13. April (Palm-Sonntag) ein gegenrevolutionärer Putschversuch gescheitert war, übernahm die KPD das Regiment. Auf die Mitarbeit Landauers legten ihre Kader keinen Wert.  Dennoch erlangte sein Nachfolger im Amt, Felix Boenheim (Fidelis), „nach heißem Bemühen“ immerhin die Erlaubnis, Landauer zur Ausarbeitung eines Kulturprogrammes heranzuziehen, das uns aus dieser Zeit erhalten ist. Es sah unter anderem die „völlige Trennung von Staat und Kirche“, freien Eintritt ins „National-Theater“ und die „Einheitsschule“ bis zum 13. Lebensjahr vor.

Am 1. Mai wurde Landauer im Haus der Witwe Else Eisner verhaftet. Nach dem Tode Eisners waren die beiden sich nahegekommen und planten ihre Heirat. Am Morgen des 2. Mai brachte man Landauer in das Gefängnis Stadelheim, das die Regierungstruppen als Gefangenensammelstelle nutzten. Dort angekommen wurde er erkannt: „Halt! der Landauer wird sofort erschossen.“ Erst demütigte man ihn, dann schlug man ihn zusammen. Als mehrere Kugeln ihn nicht umbrachten, trat ein Vizewachtmeister ihn schließlich mit Füßen zu Tode. Die Leiche wurde geplündert. Man riss Landauer die Sachen herunter und warf ihn für zwei Tage ins Waschhaus. Dann wurde er mit anderen Opfern der Gegenrevolution in einem Massengrab verscharrt.

Die jüngste Tochter, Brigitte, die noch 1940 nach New York fliehen konnte, erzählte 1976 in einem Interview, wie sie in Krumbach durch den Onkel Hugo Landauer von der Ermordung ihres Vaters erfuhr. Hugo Landauer hatte das Kind zur Seite genommen und zuerst über den Verlust informiert, damit die Nachricht es nicht in Anwesenheit der übrigen Gesellschaft überraschen würde. Die Trauer um die Mutter hatte Brigitte sich, um Landauer − der sie auch zur Beerdigung nicht mitgenommen hatte − besser stützen zu können, bis zu dessen Tod versagt:
„Later I found an abandoned corner in the woods where no one could see me, and there, hidden from everybody, I made two small graves […], two mounds of earth such as I had seen in the Catholic cemetary in Hermsdorf. On the two graves I put flowers and made a cross from branches for each grave. No one knew anything of this. But for several days I stole away to my secret graves and placed fresh flowers there.“

Gegen Mitte Mai reiste die älteste Tochter, Charlotte, im Viehwagen nach München, stand stundenlang vor dem Gefängnistor und erreichte durch ihre Hartnäckigkeit schließlich die Exhumierung des Vaters. Am 13. Juni 1919 wurde der Leichnam verbrannt.