Lange Zeit war die öffentliche Wahrnehmung Gustav Landauers auf sein Wirken als „Volksbeauftragter für Volksaufklärung“ (früher Kultusministers) während der ersten Phase der kurzlebigen Münchner Räterepublik, vom 7. bis zum 16. April 1919, sowie auf seine brutale Ermordung im Gefängnis Stadelheim am 2. Mai 1919 beschränkt. Seine aktive Zeit in München umfasste jedoch nur die vergleichsweise kurze Zeitspanne vom 15. November 1918 bis zu seinem Tod, während er, von wenigen Unterbrechungen abgesehen, zwischen 1889 und 1917 in Berlin lebte. Für die Entstehung seines umfangreichen und inzwischen zu großen Teilen wieder zugänglichen Werks war das politische und kulturelle Leben, waren die damaligen Debatten und die Atmosphäre Berlins von entscheidender Bedeutung. Als Redakteur des „Sozialist“ und wortgewandter Redner nahm Landauer selbst vor großem Publikum daran teil, griff in politische Auseinandersetzungen ein und beeinflusste mit seinem kulturellen Engagement breite Kreise der bürgerlichen Gesellschaft.
Das facettenreiche Werk Gustav Landauers wird gegenwärtig neu entdeckt. Für Siegbert Wolf bildet es eine „Brücke zwischen klassischem und postmodernem Anarchismus“. Hans Jürgen Degen und Jochen Knoblauch zählen den literarisch und philosophisch gebildeten „Edelanarchisten“ in ihrer Einführung in den Anarchismus, neben Michail Bakunin, Peter Kropotkin, Emma Goldman und Rudolf Rocker, zu den „Klassikern“ dieser politischen Strömung. Die judaistische, literaturwissenschaftliche und historische Forschung bringt, in immer rascherer Folge, neue Arbeiten über Gustav Landauer hervor. Seine zahlreichen Beiträge zu literarischen, politischen und philosophischen Fragen, die heute auch als Begründung eines „kulturellen Anarchismus“ gelten, erleben derzeit eine umfassende Wiederentdeckung.