Kindheit und Jugend (Tilman Leder)

1870

Gustav Landauer wird am 7. April 1870 als drittes und letztes Kind des Kaufmanns Hermann Landauer (geb. 21.9.1837 im württembergischen Buttenhausen) und seiner Frau Rosa (geb. Neuburger, 28.10.1845 in Buchau am Federnsee) in Karlsruhe geboren. Die beiden Brüder Friedrich (geb. 1866) und Felix (geb. 1867) sind einige Jahre älter.

1879 – 1886

Besuch des Karlsruher Humboldt Realgymnasiums. Landauer ist ein guter bis sehr guter Schüler. Die eigentlichen Interessen liegen aber im außerschulischen Bereich, er liest klassische Literatur (Goethe, Lessing, Hölderlin usw.) und besucht auch gelegentlich das Karlsruher Theater. Selbst versucht er sich eifrig in der literarischen Gestaltung von zahlreichen Theaterstücken, Novellen und Gedichten. Dieser schriftstellerische Eifer erlahmt 1886 erst einmal und der Vorsatz, erst wieder literarisch zu gestalten, wenn mehr eigenes Erleben gesammelt wurde, wird gefaßt.

1886 – 1888

Landauer wechselt für die letzten beiden Schuljahre ab dem Herbst 1886 auf das Karlsruher Großherzogliche Gymnasium, um die Möglichkeit zu haben, nach der Schule das Studium der neueren Philologie zu ergreifen (auf dem Realgymnasium wird kein Griechisch unterrichtet). Das Abiturzeugnis vom Juli 1888 bescheinigt ihm das Gesamtprädikat „ziemlich gut“. In einem der wenigen Artikel, in denen Landauer in späteren Jahren auch einmal Autobiographisches mitteilt, berichtet er aus Anlaß des 25-jährigen Todestages von Kaiser Friedrich III. im Juni 1913 einige Episoden aus der Zeit auf dem Grossherzoglichen Gymnasium, wo ihn die Todesnachricht damals erreicht hatte:

Die Schule nahm mir zwar mit den Hausarbeiten täglich sieben bis acht Stunden weg, aber sie Bedeutete mir, Ausnahmen abgerechnet, nur eine Abwechselung von nervöser Gespanntheit und Erschlaffung und einen ungeheuerlichen Diebstahl an meiner Zeit, meiner Freiheit, meinen Träumen und meinem auf eigenes Erforschen und Versuchen gerichteten Tatendrang. Da ich auch sonst vereinsamt genug war, kamen mir Buben meine eigentlichen Erlebnisse alle vom Theater, der Musik und vor allem den Büchern. Um diese Zeit herum war es durch die billigen Reclambücher Henrik Ibsen, der einen ungeheuren Eindruck auf mich machte und mich und all die romantische Sehnsucht meines Herzens der gegenwärtigen Wirklichkeit zuwandte. […] Ibsen war es, der in dem Knaben, der ich war, aus dem Traum von der Schönheit die Lust zur Verwirklichung machte, der mich mit faszinierender Gewalt zwang, die reale Grundlage, die Gesellschaft und ihre Häßlichkeit, nicht zu ignorieren, sondern zu gewahren und zu kritisieren und ihr den Aufruhr und Kampf des Einzelnen entgegenzustellen. („Vor fünfundzwanzig Jahren“ gez. gl. in: Der Sozialist. Organ des Sozialistischen Bundes, Berlin, 5. Jg., Nr.12 v. 15.6.1913, S. 90).